Zwischen einer Vertragsarztpraxis und einem Facharzt wird ein Praxisvertretungsvertrag geschlossen. Hiernach soll der Facharzt auf eigene Rechnung gegen einen festen Stundensatz für eine Zeitspanne von 2 Monaten sowie einer Prämie von 50 % des IGEL-Umsatzes in der Praxis "freiberuflich" tätig werden. Der Facharzt soll Steuern und Sozialbeiträge selbst abführen. Er soll ausdrücklich nicht als angestellter Arzt tätig werden. Geht das?
Das LAG Köln hat sich mit Beschluss vom 6. Mai 2022 mit dem Fall befasst und den Facharzt als Arbeitnehmer betrachtet. Die Arbeitnehmereigenschaft setzt voraus, dass der Facharzt im Dienste der Praxis zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet war. Hierbei ist der Begriff des Arbeitnehmers typologisch zu bestimmen. Dabei können die Parteien zwingende Regeln für Arbeitsverhältnisse nicht abbedingen. Die praktische Handhabung eines Vertragsverhältnisses im Hinblick auf
► persönliche Abhängigkeit
► Eigenart der Tätigkeit
► rechtliches Umfeld, in dem die Tätigkeit erfolgt und
► die Verkehrsanschauung
bildet die Grundlage für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft. Die Kriterien zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit im Gesundheitswesen sind die freie Zeiteinteilung, der Einsatz eigener Betriebsmittel, eigene Angestellte, das Tragen von unternehmerischem Risiko sowie die Möglichkeit, aus den erzielten Honoraren eine eigene Altersversorgung aufzubauen. In vielen Fällen werden Vertretungsärzte innerhalb vorgegebener Arbeitszeiten tätig. Aufgrund dessen haben sie faktisch kaum die Möglichkeit, in beachtlichem Umfang für weitere Auftraggeber tätig zu sein, noch können sie werbend am Markt auftreten. Typisch für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft ist die Eingliederung in den Praxisbetrieb und das Fehlen eines unternehmerischen Risikos. Allein dass die Parteien keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaubsansprüche regeln, oder dass der Facharzt eine eigene Beruftshaftpflichtversicherung abschließen muss, führt nicht dazu, ihm den Status des Selbstständigen zuzubilligen. Gleiches gilt für die 50 % ige Beteiligung an IGEL-Leistungen: im vorliegenden Fall bot dies dem Facharzt weder die Chance, durch unternehmerisches Geschick seine Arbeit so effizient zu gestalten, dass sie das Verhältnis Aufwand/ Ertrag zu seinen Gunsten entscheidend beeinflussen konnte. Noch reichte die Beteiligung an den IGEL-Honoraren für den Aufbau einer eigenen auskömmlichen Altersversorgung.
Folge: der Facharzt als "Praxisvertreter" war Arbeitnehmer (vgl. LAG Köln, 9 Ta 18/22).